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Ankara liebt Interpol

Wieder muss ein politischer Flüchtling die Auslieferung in die Türkei fürchten: Am kommenden Freitag findet die abschließende Anhörung vor einem Gericht in Belgrad statt, das darüber entscheidet, ob Ecevit Piroglu nicht nur Serbien verlassen muss, sondern an die Türkei ausgeliefert wird. Vor neun Jahren war er von dort geflohen. Piroglu wurde bereits am 25. Juni vergangenen Jahres aufgrund eines internationalen Haftbefehls in der serbischen Hauptstadt festgenommen. Dabei bediente sich die Regierung in Ankara zum wiederholten Male einer sogenannten Red Notice von Interpol – das Ersuchen um Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung.

Wie auch in anderen ähnlichen Fällen ist der Grund für den Auslieferungsantrag in den politischen Aktivitäten des inhaftierten Aktivisten zu suchen. Politisiert in der Studierendenbewegung der neunziger Jahre, war der bekennende Kommunist nach seinem Studium für einige Zeit Direktor des international bekannten Menschenrechtsvereins IHD. Dieser deckt seit Jahrzehnten die Repression des türkischen Staates auf, beispielsweise das »Verschwindenlassen« linker Oppositioneller, und prangert sie an. Der Verein ist selbst bereits unzählige Male ins Fadenkreuz der Behörden geraten. Piroglu war früher zudem Redaktionsleiter der inzwischen nicht mehr erscheinenden politischen Zeitschrift Genc Devrimci.

In der Zeit des Gezi-Aufstandes 2013 nahm er aktiv an den Protesten teil und soll allein dafür über 30 Jahre inhaftiert werden. Bereits diesbezüglich erlassene Urteile zeigen, dass dieses drakonische Strafmaß keineswegs unrealistisch ist. Auch sein parteipolitisches Engagement in dieser Zeit ist ein Grund für seine aktuelle Verfolgung. Als Geschäftsführer der SDP (Sozialistische Demokratische Partei) geriet er zusätzlich ins Visier der türkischen Behörden. Während einer Razzia in der Parteizentrale im Juni 2013 wurde er gemeinsam mit Dutzenden weiteren Mitgliedern festgenommen und inhaftiert. Die Partei musste sich auflösen. Piroglu entschied sich nach kurzer Haft, die Türkei zu verlassen, um der damals bereits absehbaren jahrzehntelangen Haftstrafe zu entgehen.

Im serbischen Exil setzte Piroglu seine politische Arbeit fort und beteiligte sich an Demonstrationen und Veranstaltungen gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) und dessen Unterstützung durch das türkische Regime bei den Angriffen auf Rojava. Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien war während des Kriegs in Syrien entstanden. Bekanntlich verübte der IS vor seiner militärischen Niederlage dort schwerste Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen.

Auch dieses Engagement sei ein Grund für die Verfolgung, erklärt die »Initiative für die Freiheit von Ecevit Piroglu« in einer Stellungnahme. Da Erdogans regionale Pläne gescheitert seien, sei jede Person, die sich gegen den IS engagiert habe, zu einem besonderen Ziel seiner Regierung geworden. Mit Verweis auf die Menschenrechtssituation in der Türkei sowie die Tausenden politischen Gefangenen appelliert die Initiative an die serbische Regierung, sich nicht durch die Auslieferung des Oppositionellen zum Handlanger der türkischen Regierung zu machen. Um politischen Druck aufzubauen, sollten sich Demokraten und Sozialisten überall auf der Welt öffentlich für Piroglus Freilassung einsetzen.

»Ecevit Piroglu muss unverzüglich freigelassen werden«, fordert auch Rote-Hilfe-Bundesvorstandsmitglied Anja Sommerfeld im Gespräch mit jW. Der Versuch, seine Auslieferung zu erwirken, sei ein weiterer Versuch, die linke Opposition im Exil zu schwächen und Rache an einem langjährigen Aktivisten zu nehmen. Auf das Schärfste zu kritisieren seien auch die Mitgliedstaaten und Organe von Interpol, die Erdogan und seinem Regime seit Jahren diese Möglichkeiten geben. »Selbst wenn es am Ende nicht zur Auslieferung kommt, verbringen politische Geflüchtete unter Umständen viele Monate unverschuldet in Haft, statt geschützt zu werden. Interpol muss nicht einige, sondern alle Auslieferungsgesuche gegen linke Oppositionelle ablehnen und Ankara diese Verfolgungsmöglichkeit ein für allemal nehmen«, so Sommerfeld.

(Quelle: JungeWelt)