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»Es gibt enormen politischen Druck aus der Türkei«

Sie sind vor kurzem nach Serbien gereist. Was war der Grund Ihrer Reise?

Ich wollte den kurdisch-türkischen politischen Gefangenen Ecevit Piroglu im Gefängnis besuchen. Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Missbrauch der Polizeiorganisation Interpol für politische Zwecke. Piroglu wurde vor fast zwei Jahren am Belgrader Flughafen aufgrund einer »Red Notice« von Interpol festgenommen und soll in die Türkei ausgeliefert werden. Politische Fälle sind nach Interpol-Statuten explizit verboten. Dennoch gibt es immer wieder solche Festnahmen. Vor allem die Türkei macht extensiv davon Gebrauch.

Darüber hinaus habe ich mich auch mit politischen Akteuren in Belgrad getroffen, um über die internationale Lage zu sprechen. Serbien ist ja eines der wenigen europäischen Länder, das zwar den Krieg in der Ukraine verurteilt, aber weder ­Waffenlieferungen noch Sanktionen unterstützt und deshalb von der EU massiv unter Druck gesetzt wird. Allerdings sind die Erinnerung an die NATO-Bombardierung 1999 und auch die brutalen Sanktionen der 90er Jahre in der Öffentlichkeit sehr präsent. Ein Einschwenken auf den EU/NATO-Kurs wäre entsprechend unpopulär.

Wie war Piroglus Verfassung?

Ich konnte circa eine Stunde mit ihm ohne Trennscheibe sprechen. Soweit ich das beurteilen kann, war er in normaler psychischer und physischer Verfassung, trotz eines langen Hungerstreiks letztes Jahr. Er ist zusammen mit fünf serbischen nichtpolitischen Inhaftierten 22 Stunden am Tag in einer circa zehn Quadratmeter großen Zelle eingesperrt. Sie können sich nicht sprachlich verständigen, da er kein Serbisch kann.

Warum ist Piroglu denn immer noch in Haft? Was wird dem politischen Geflüchteten zur Last gelegt?

Es geht um »Terrorismus«. Der türkische Präsident Erdogan lässt fast alle politischen Gegner mit vermeintlichen Terrorismusvorwürfen verfolgen. International wird diese extrem dehnbare Verwendung des Begriffs kritisiert. Entsprechend hat etwa der Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg letztinstanzlich die Freilassung von Osman Kavala und Selahattin Demirtas angeordnet. Konkret geht es bei Piroglu um die Beteiligung an den Gezi-Protesten und um Unterstützung für Rojava.

Nach serbischem Recht darf er bei einem Auslieferungsverfahren maximal ein Jahr inhaftiert sein. Das wurde rechtswidrig um ein halbes Jahr verlängert. Im Januar wurde er schließlich freigelassen, allerdings nach vier Tagen wieder mit einer abenteuerlichen Begründung verhaftet: In einem Auto, in dem er mitfuhr, wurde ein französischer Pass gefunden, allerdings ohne jeden Bezug zu Piroglu. Vieles deutet darauf hin, dass hier ein Vorwand konstruiert wurde und türkische Behörden versuchen, Einfluss zu nehmen.

Ist seine Auslieferung an die Türkei eine akute Gefahr?

Ja. Als sich vor einigen Wochen die Außenminister Cavusoglu und ­Dacic trafen, hat der türkische Außenminister die Auslieferung Piroglus gefordert. Es gibt also enormen politischen Druck. Serbien ist allerdings keine Bananenrepublik. Seine Auslieferung wurde dreimal von einer unteren Instanz durchgewunken, allerdings mit himmelschreienden Verfahrensfehlern. Das Appellationsgericht hat den Fall deshalb zweimal zurückverwiesen, ohne dass diese Fehler behoben wurden. Es ist gut möglich, dass das Appellationsgericht in den nächsten Wochen den Fall selbst übernimmt. Nach meinem Verständnis müsste die Auslieferung dann abgelehnt werden und Piroglu frei kommen.

Welche Möglichkeiten haben Sie, sich für Piroglu einzusetzen?

Ich versuche, weitere internationale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der UN-Ausschuss gegen Folter hat sich bereits mit Piroglu beschäftigt und die Nichtauslieferung angewiesen. Als ich in Belgrad war, habe ich auch das dortige UNHCR besucht. Sie haben Unterstützung zugesagt und wollen den Prozess beobachten. Auch der Europarat plant gerade einen Bericht über Serbien und ich werde die Berichterstatter für den Fall sensibilisieren. Die Praxis der internationalen Verfolgung türkischer Oppositioneller muss endlich ein Ende haben.

Quelle: JungeWelt