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Empfehlungen für Kolonialkrieger

Rund ein Jahr nach dem eiligen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan angesichts der Machtübernahme der islamistischen Taliban hat sich am Montag im Bundestag eine Enquetekommission zur Aufarbeitung des 20jährigen deutschen »Engagements« am Hindukusch konstituiert. Das Gremium, dem zwölf Abgeordnete sowie zwölf Sachverständige als Mitglieder angehören, soll bis Herbst 2024 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen.

Schon der offizielle Titel »Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands« macht deutlich, dass Schlussfolgerungen aus der Vergangenheit vor allem mit Blick auf zukünftige Kriegseinsätze gezogen werden sollen. Das machte auch der Vorsitzende der Kommission, der SPD-Abgeordnete und frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, deutlich. Der Politiker, der Ende August noch gemeinsam mit anderen Sozialdemokraten einen Friedensappell für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg unterzeichnet hatte, wird zwar dem linken Flügel der SPD zugerechnet. Doch eine generelle Ablehnung von Bundeswehr-Auslandseinsätzen ist mit dieser Positionierung nicht verbunden – im Gegenteil.

Die nun in der Enquetekommission zu thematisierenden Fragestellungen seien wichtig wegen des weiteren deutschen Engagements in der Welt, betonte Müller bei deren Konstituierung. »Wir erleben die Debatte um die Führungsrolle Deutschlands«, griff er das zuletzt von SPD-Chef Lars Klingbeil und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht strapazierte Schlagwort für mehr imperialistische Politik auf und behauptete, »es wird gewünscht, dass wir unterstützen und helfen«. Als Beispiel dafür führte Müller ausgerechnet den Irak an, obwohl dessen Parlament bereits Anfang 2020 den Abzug ausländischer Truppen aus dem Land gefordert hatte.

Die Linke, die Auslandseinsätze der Bundeswehr generell ablehnt, hatte schon aufgrund der aus ihrer Sicht falschen Fragestellung gegen die Einsetzung der Enquetekommission gestimmt. Mit ihrem Abgeordneten Andrej Hunko hat sie dennoch einen Vertreter entsandt. Es handele sich um das einzige Gremium, das sich überhaupt mit der Aufarbeitung der gesamten 20 Jahre Afghanistan-Einsatz beschäftigt, begründete Hunko am Montag gegenüber jW seine Mitarbeit in der Kommission. »Und dort werden wir uns für Transparenz einsetzen und kritische Punkte, beispielsweise zu Kriegsverbrechen, einbringen«, versprach der Abgeordnete. Dabei müsse der bereits völlig falsche Ansatz, der dem Afghanistan-Krieg zugrunde liegt, Gegenstand der Untersuchung sein. Allerdings sieht Hunko die Gefahr, dass die »ganz große Koalition der Befürworter des Afghanistan-Krieges« aus Union, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP lediglich versuchen wird, den Einsatz im nachhinein schönzureden.

Als ihren Experten hat Die Linke den Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders benannt. Dieser hatte in seinem im Februar veröffentlichten Buch »Hybris am Hindukusch« eine schonungslose Bilanz zum Scheitern des Westens in Afghanistan gezogen. Die USA und ihre Verbündeten hätten versucht, Afghanistan zu verändern, ohne das Land zu verstehen, so sein Fazit. Sie hätten ein korruptes Regime in Kabul finanziert, während Tausende Zivilisten bei Drohnenangriffen und nächtlichen Razzien starben.

Anstelle einer zahnlosen Enquetekommission – noch dazu mit falscher Zielstellung – bräuchte es für eine kritische und vollumfängliche Aufarbeitung einen mit Rechten zur Beweismittelerhebung und Zeugenvorladung ausgestatteten parlamentarischen Untersuchungsausschuss, meinte Hunko gegenüber jW. Bereits im Juni war zwar ein Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages eingesetzt worden. Dessen Aufklärungsauftrag beschränkt sich allerdings auf Fragen im Zusammenhang mit der Evakuierungsmission der Bundeswehr. Geklärt werden soll, welche Fehler bei der hektischen und unvollständigen Evakuierung der verharmlosend als »Ortskräfte« bezeichneten afghanischen Kollaborateure gemacht wurden. Wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums zu Wochenbeginn mitteilte, sind bislang 3.480 ehemalige »Ortskräfte« aus Afghanistan zusammen mit ihren Angehörigen in Deutschland angekommen.

Quelle: JungeWelt