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Feuer als Waffe, In Kurdistan brennen die Wälder – Nick Brauns

Kurdistan brennt. In den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei aber auch im von Ankara besetzten Kanton Afrin in Nordsyrien und der Autonomieregion Kurdistan-Irak lodern seit Wochen verheerende Waldbrände. Tausende Hektar Wald und Anbauflächen fielen den Flammen bereits zum Opfer. Es handelt sich um gezielte Brandstiftung durch die Armee. Unter dem Vorwand von »Militäroperationen« oder »Sperrgebieten« legen die Soldaten systematisch Feuer, erklärte die Abgeordnete der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP), Dersim Dag, Ende Augst gegenüber der Nachrichtenagentur Firat. Ziel des Staates sei die Entvölkerung der Region durch die Zerstörung der Natur. Betroffen sind im Osten der Türkei die Region um die Kreisstadt Lice, die Provinz Tunceli und das Bergland an der türkisch-irakischen Grenze.

Weder das Forstwirtschaftsamt noch die nach Absetzung der linken Bürgermeister unter staatlicher Zwangsverwaltung stehenden Stadtverwaltungen unternehmen etwas zum Schutz der Wälder. Die Bevölkerung versucht daher mit einfachen Mitteln, die Brände zu bekämpfen – in einigen Fällen bereits erfolgreich. Doch die Freiwilligen werden immer wieder von der paramilitärischen Jandarma dabei behindert. Soldaten verweigerten vor einigen Tagen auch einer Delegation von zehn HDP-Abgeordneten, die sich ein eigenes Bild von der Situation in der Provinz Tunceli machen wollten, die Fahrt in das Brandgebiet.

Zu Waldbränden in Folge türkischer Artillerieangriffe kommt es auch in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak. Feuer wüten an mehreren Stellen in den sogenannten Medya-Verteidigungsgebieten, die von der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) für den Rückzug genutzt werden. Ziel ist die Vertreibung der meist bäuerlichen Zivilbevölkerung durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Damit soll der PKK die Unterstützung genommen werden. Um die Anwohner am Löschen zu hindern, bombardierten türkische Kampfflugzeuge zu Wochenbeginn ein Waldgebiet bei der Stadt Amediye, das seit vergangener Woche in Flammen steht. Die Regierung von Ministerpräsident Neschirwan Barsani in Erbil unternimmt nichts gegen die Brände und schweigt zu den grenzüberschreitenden Angriffen Ankaras.

Auch im türkisch besetzten Kanton Afrin im Norden Syriens setzen die Besatzungstruppen auf verbrannte Erde, um den zum Guerillakampf übergegangenen kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG Unterschlupfmöglichkeiten zu nehmen und die verbliebene Bevölkerung zur Flucht zu treiben. Zahlreiche Olivenbäume, Felder, Gärten und Weinberge wurden ein Raub der Flammen.

Der Exekutivrat des aus der PKK hervorgegangenen Dachverbandes Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) rief am 1. September die Bevölkerung zur Mobilisierung gegen die Vernichtungspolitik des Staates auf. »Die Waldbrände gelten seit Jahren als Instrument der ›Sicherheitspolitik‹, in diesem Jahr haben sie jedoch ein zuvor nie dagewesenes Ausmaß erreicht«, heißt es in dem Appell. »Die Lungen Kurdistans und des Nahen Ostens verkohlen im Rauch. Mit der Zerstörung der Lebensräume von Mensch und Tier soll Kurdistan entvölkert werden.« Die KCK weist dabei auf die Mitverantwortung des Westens hin. So seien es vor allem Kampfjets und Hubschrauber aus dem Ausland, durch deren Einsatz die Waldbrände erzeugt werden. »Andernorts hätte sich die internationale Gemeinschaft bereits mehrfach gegen solche Brände erhoben. Weshalb wird hinsichtlich der Vernichtung Kurdistans geschwiegen?« fragt die KCK.

Erstmals wurden vom türkischen Staat bereits im Jahr 1925 Waldbrände zur Bekämpfung des kurdischen Aufstandes von Scheich Said eingesetzt. 1938 wurde diese Methode während der großangelegten Massaker und Vertreibungen der alevitischen Kurden von Dersim, der heutigen Provinz Tunceli, erneut aufgegriffen. Auch während des Krieges gegen die PKK in den 90er Jahren setzte Ankara neben der systematischen Zerstörung von über 4.000 Dörfern auf die Vernichtung der Natur, um die Zivilbevölkerung zu vertreiben. (Junge Welt)