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Proteste in Athen für die Freilassung des Kommunisten Turgut Kayas am 1. Juni 2018 Foto: atik-online

Ein Artikel von Nick Brauns – »Dreckige Zusammenarbeit«

Türkischem Kommunisten Turgut Kaya droht Auslieferung von Griechenland an Türkei. Hungerstreik gegen Gerichtsentscheidung

Die drohende Auslieferung eines türkischen Kommunisten an die Türkei könnte zum Politikum für die von der linken Syriza geführte griechische Regierung werden. Der türkische Staatsbürger Turgut Kaya wurde im April wegen einer von Ankara über Interpol verbreiteten »Red Notice« (Ersuchen, den Aufenthaltsort einer bestimmte Person zu ermitteln und diese vorläufig festzunehmen) von der griechischen Polizei festgenommen. Am Mittwoch entschied das Verwaltungsgericht in Athen, dass er ausgeliefert werden darf. Das letzte Wort liegt jetzt beim griechischen Justizministerium.

Für die türkische Justiz ist Kaya ein Topterrorist, auf dessen Ergreifung ein Kopfgeld ausgesetzt wurde. Ihm wird eine Kadertätigkeit für die im Untergrund tätige Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) vorgeworfen. Die Partei kämpft seit ihrer Gründung Anfang der 70er Jahre auch bewaffnet gegen den türkischen Staat. Aufgrund seiner politischen Aktivitäten wurde Kaya in der Türkei seit Anfang der 90er Jahre mehrfach inhaftiert und schwerer Folter ausgesetzt. Zuletzt saß er sechs Jahre wegen der Herausgabe der sozialistischen Zeitung Özgür Gelecekein, anschießend floh er 2012 nach Griechenland. Eine Auslieferung an die Türkei könnte für Kaya lebensbedrohlich sein, warnt die Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK), deren Mitglied Kaya ist. In den letzten Tagen fanden europaweit Protestkundgebungen vor griechischen diplomatischen Vertretungen statt.

Kaya war 2015 schon einmal in einer gleichzeitig in fünf Ländern laufenden Operation gegen die TKP/ML in Griechenland festgenommen worden. Während sein Genosse Deniz Pektas damals wegen eines offenen Haftbefehls an Frankreich ausgeliefert wurde und heute gemeinsam mit neun weiteren türkischen Kommunisten in München wegen Terrorismusverdachts vor Gericht steht, kam Kaya wieder frei.

Nach seiner erneuten Festnahme befürchten Kayas Unterstützer, dass er gegen zwei seit März in der Türkei inhaftierte griechische Soldaten ausgetauscht werden könnte. Angelos Mitretodis und Dimitris Kouklatzis sollen während einer Grenzpatrouille einige hundert Meter auf türkisches Territorium vorgedrungen sein. Sie seien wegen des schlechten Wetters vom Wege abgekommen, heißt es aus Athen. Ankara hingegen wirft ihnen Spionage vor. Die griechische Regierung steht innenpolitisch zunehmend unter Druck, weil es ihr nicht gelingt, die eigenen Soldaten aus der Haft des NATO-Partnerlandes freizubekommen.

Ankara fordert zudem, Athen solle acht türkische Soldaten ausliefern, die sich nach dem gescheiterten Staatsstreich gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan im Juli 2016 nach Griechenland abgesetzt hatten. Doch vor einer Woche entschied das oberste Verwaltungsgericht Griechenlands, dass einem der Männer Asyl zu gewähren sei. Die anderen nach Griechenland geflohenen Putschsoldaten können nach diesem Urteil ebenfalls auf eine solche Anerkennung hoffen. Es ist somit unwahrscheinlich, dass die von der Türkei mit internationalem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschriebenen Soldaten ausgeliefert werden. Damit bliebe für Athen nur Kaya für einen »Geiselaustausch« übrig. Der Kommunist kündigte am Donnerstag an, gegen die »dreckige Zusammenarbeit der reaktionären Regierungen« und für seine Freilassung in einen Hungerstreik zu treten.

Zwischen Griechenland und der Türkei bestehen seit Monaten Spannungen im Streit um 18 von Ankara beanspruchte griechische Ägäisinseln. Regelmäßig verletzen türkische Kampfflugzeuge griechischen Luftraum. Nach einem Abfangeinsatz stürzte im April ein griechischer Jagdflieger ab. Im türkischen Wahlkampf warf der Präsidentschaftskandidat der kemalistischen CHP, Muharrem Ince, der Erdogan-Regierung einen zu laxen Umgang im Inselstreit mit dem Nachbarland vor. Umgekehrt lässt auch der griechische Verteidigungsminister, Panos Kammenos, angesichts beständig sinkender Umfragewerte seiner rechtspopulistischen »Unabhängige Griechen« keine Gelegenheit aus, die nationale Karte zu spielen und die Türkei verbal zu attackieren.

Nick Brauns – Junge Welt