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Deutsche Doppelmoral – Nick Brauns

Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt gegen 20 mutmaßliche Agenten des türkischen Geheimdienstes wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit in Deutschland. Das teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen hin mit, wie am Donnerstag bekanntwurde. Unter den Verdächtigen ist auch der für Auslandsbeziehungen zuständige Leiter der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Halife Keskin. Imame des Islamverbandes DITIB in Deutschland sollen in seinem Auftrag gespitzelt haben. Ermittelt werde, »soweit es um die Ausspähung von Anhängern der Gülen-Bewegung geht«, so die Bundesregierung. Die türkische Regierung beschuldigt das bis 2013 mit ihr verbündete religiös-konservative Netzwerk um den im US-Exil lebenden pensionierten Imam Fethullah Gülen, hinter dem Putschversuch vom Juli 2016 zu stecken.

Für Empörung bei der Bundesregierung hatte kürzlich das Bekanntwerden einer durch Spionage zustande gekommenen Liste mit Daten von Hunderten in Deutschland lebenden mutmaßlichen Gülen-Anhängern gesorgt. Die Liste hatte der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan anlässlich der »Münchner Sicherheitskonferenz« im Februar dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) Bruno Kahl mit der Bitte um Amtshilfe übergeben. Ein weiteres Gülen-Dossier hat nach Informationen von Die Zeit die Staatssekretärin im Innenministerium Emily Haber Anfang März in Ankara erhalten. Die Obfrau der Linksfraktion, Ulla Jelpke, beantragte am Mittwoch, den bislang verheimlichten Vorgang bei der nächsten Sitzung des Innenausschusses zu behandeln.

Das weltweite Gülen-Netzwerk steht in enger Verbindung mit dem US-Geheimdienst CIA, in mehreren GUS-Staaten wurden seine Schulen deswegen geschlossen. Auch die Bundesregierung pflegt gute Beziehungen zur Gülen-Bewegung, wie sie auf frühere Anfragen von Jelpke hin bestätigte. BND-Chef Kahl stellte der während ihres Bündnisses mit Erdogan für die Inhaftierung von Tausenden Oppositionellen verantwortlichen Gülen-Bewegung im Spiegel-Interview jüngst einen Persilschein aus: »Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung«. Nun sollen die geflohenen oder bereits hier lebenden Gülen-Kader offenbar als prowestliche Kampfreserve für eine Türkei nach Erdogan erhalten und dafür vor den Nachstellungen des türkischen Geheimdienstes geschützt werden.

Eine solche Vorzugsbehandlung können zehn mutmaßliche Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) nicht erwarten. Ihnen wird seit Juni letzten Jahres vor dem Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung der Prozess gemacht. In das Verfahren wurde im Januar 2017 ein Dokument einer türkischen Polizeibehörde mit Daten zu in Deutschland lebenden TKP/ML-Mitgliedern eingeführt. Da in dem Papier unverblümt angegeben wurde, dass es auf »geheimdienstlichen Informationen« beruhe, hat die Verteidigung zu Wochenbeginn Strafanzeige bei der Generalbundesanwaltschaft wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit türkischer Sicherheitsbehörden gestellt. »Es kann nicht sein, dass Spitzeltätigkeiten türkischer Sicherheitsbehörden gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger skandalisiert werden; wenn sie sich gegen Linke oder Kurden richten, diese aber nicht nur geduldet, sondern die Ergebnisse sogar als Beweismittel verwertet werden«, erklärte Rechtsanwalt Peer Stolle, der die Nürnberger Ärztin Dilay BanuBüyükavci verteidigt, zu Beginn dieser Woche. (Junge Welt)