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Frankfurt Sagt Nein Zum Präsidialsystem

FRANKFURT | Manchmal stehen Entscheidungen an, deren Folgen schwer rückgängig zu machen sind. In der Türkei stehen die Menschen gerade vor solch einer Entscheidung. Sie befinden sich am Scheideweg  zwischen einer parlamentarischen Demokratie oder einem autoritären Präsidialsystem. Darüber sollen sie in einem Referendum am 16. April 2017 abstimmen. Sie sind aufgerufen, für die nötige Verfassungsänderung hin zu einem Präsidialsystem entweder mit einem “Ja” oder einem “Nein” zu stimmen. In Deutschland lebende türkische Staatsbürger*innen können ihre Stimme zwischen dem 27. März und dem 9. April in den konsularischen Vertretungen der Türkei abgebenunter anderem in Frankfurt.
Seit 1961 wurden die türkischen Bürger*innen sechs Mal für eine Verfassungsänderung zu den Urnengerufen. Zum ersten Mal aber, sollen sie über einen Wechsel der Regierungsform abstimmen. Die derzeitige parlamentarische Demokratiedie durch Gewaltenteilung gekennzeichnet ist soll in ein Präsidialsystem” überführt werden. Dafür werden die Kompetenzen des Präsidenten weiter gefasst als bisher. Die Kompetenzund Aufgabenbereiche des Parlaments werden eingeschränkt. Der Ministerrat, die derzeitige Exekutive, wird abgeschafft.
Zu den erweiterten Kompetenzen des Präsidenten gehört die Ernennung und Entlassung der obersten und der leitenden Beamten. Er regelt in einer Präsidialverordnung Verfahren und Grundsätze ihrer Ernennung. Der Präsident kann fast alle höheren Positionen in der Justiz besetzen. Er bestimmt beinahe alle Mitglieder des Hohen Rates der Richter- und Staatsanwälte. Der Entwurf  des Staatshaushaltes obliegt dem Präsidenten. Die Mitglieder des Parlaments dürfen dazu
Stellungnahmen abgeben, aber keine Vorschläge zu Ausgaben und Einnahmen machen. Damit wird
das Parlament eine seiner Kernkompetenzen innerhalb einer Demokratie beraubt.
In der derzeitigen Fassung der türkischen Verfassung vertritt der Parlamentspräsident den Staatspräsidenten. Auch hier werden Veränderungen vorgenommen. Laut Verfassungsentwurf kann der Staatspräsident seine Stellvertreter wählen. Die Anzahl der Stellvertreter wird nicht geregelt. Der Präsident ernennt auch Minister, ohne vorher das Parlament anzuhören. Weder Minister noch Stellvertreter können per Misstrauensvotum abgewählt werden.
Das sind längst nicht alle Vollmachten und Privilegien mit denen der Staatspräsident ausgestattet
werden soll. Mit der beabsichtigten Verfassungsänderung wird die Kontrolle der Exekutive, der
Judikative und auch der Legislative dem Präsidenten übertragen. Somit wird faktisch der Boden für
eine “Alleinherrschaft” bereitet. Deshalb ist der Ausgang des Referendums für die Demokratie in der
Türkei, für die Zukunft der Menschen dort und auch für uns hier lebenden Türkeistämmigen von
größter Bedeutung.
Es liegt auf der Hand, warum bei diesem Referendum mit einem „NEIN!“ gestimmt werden muss.
Nicht, weil die AKP derzeit an der Regierung ist. Nicht, weil Erdogan derzeit Staatpräsident ist. „NEIN!“, weil diese Verfassung antidemokratisch istgleichgültig wer an der Macht ist. Denn mit
dieser Verfassung wird die Gewaltenteilung, die unsere Grundund Freiheitsrechte schützen soll,
aufgehoben. Ein „Ja“ für diese Verfassungsänderung bedeutet den Verzicht auf demokratische

Rechte. Es bedeutet den Verzicht auf die demokratische Kontrolle der Staatsorgane. Ohne die

Sicherheit eines Rechtsstaats mit unabhängigen Gerichten, bedeutet ein „Ja“ sich der politischen
Willkür eines Einzelnen auszusetzen.
Bei dieser Verfassungsänderung die Initiative für ein „NEIN!“ zu ergreifen, geht über die
„gewöhnliche Parteipolitikhinaus. Das angestrebte Präsidialsystem bedroht auch die Grundrechte
von Türkeistämmigen in Europa. So können wir mit einer türkischen Justiz, die weit von
Rechtsstaatlichkeit entfernt ist, auf Anordnung eines Einzelnen an den Grenzen verhaftet, bestraft
und weggesperrt werden. Dazu genügt schon eine „falsche“ Äußerung in sozialen Medien.
Kurz: Genauso wie die Referenden in der Vergangenheit, wird diese Verfassungsänderung unseren
mühsamen Weg im Kampf für
o die unterdrückten Völker,
o Demokratie,
o gleiche Rechte und Freiheiten,
o Gleichberechtigung der Geschlechter,
o einen Laizismus, der auf Religionsfreiheit basiert,
o ein gemeinsames Leben mit gleichen Rechten,
o den Erhalt der kulturellen Vielfalt,
o Frieden im Nahen Osten und weltweit,
o den Schutz und Erhalt natürlicher Ressourcen,
o ein menschenwürdiges Leben in der Türkei,
weiter erschweren. Deshalb sagen wir “Nein!”.
Weil wir nicht im Ausnahmezustand leben und mit den Dekreten regiert werden wollen, sagen wir
„NEIN“.
Weil wir jede Art von militärischen oder zivilen Putsch ablehnen, sagen wir “Nein!”
Weil wir gegen Imperialismus und Kolonisierung sind, sagen wir “Nein!”
Aus all diesen Gründen sagt Frankfurt mit einer Stimme: NEIN!”
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