MÜNCHEN |22-01-2016| Politische Gefangene: Bundesanwaltschaft stützt sich auf Erkenntnisse der türkischen Behörden. Gespräch mit Yunus Ziyal
Interview: Gitta Düperthal
Yunus Ziyal ist Rechtsanwalt in München.
Mitte April 2015 wurden in vier europäischen Ländern türkische linke Oppositionelle verhaftet. Neun von ihnen sitzen seitdem in bayerischen Gefängnissen, darunter Ihre Mandantin Dilay Banu Büyükavci. Am Montag hat die Generalbundesanwaltschaft Ihnen die Anklageschrift zugestellt. Was wird ihr vorgeworfen?
Dilay Banu Büyükavci, die als Psychologin im Klinikum Nürnberg Nord tätig war, wurde damals zusammen mit ihrem Lebensgefährten Sinan Aydin festgenommen. Er sitzt im Gefängnis in Kaisheim, sie in München-Stadelheim. Alle neun Inhaftierten sind in unterschiedlichen bayerischen Gefängnissen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, entweder Mitglied der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch, TKP/ML, zu sein oder sie zu unterstützen. Sie sollen das Auslandsbüro in Deutschland unterhalten haben. Nach Paragraph 129, Absatz a und b, wird ihnen wegen »Bildung einer ausländischen terroristischen Vereinigung« der Prozess gemacht. Verfahren danach funktionieren in der Regel so, dass Beschuldigten keine konkreten Taten zur Last gelegt werden. Im speziellen Fall wird absurd weit ausgeholt: Aktionen werden der Organisation TIKKO zugerechnet, und letztere wiederum wird in der Türkei als illegaler bewaffneter Arm der TKP/ ML gewertet. Sie selber haben also weder Anschläge verübt noch irgendwelche anderen Straftaten. Akribisch aufgelistet wird ihnen in der etwa 300seitigen Anklageschrift etwa zugeordnet, Spenden gesammelt oder Veranstaltungen organisiert zu haben. Bemerkenswert in dem Zusammenhang: Einige der Beschuldigten waren in der Türkei bereits inhaftiert. Weil sie dort aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der TKP/ML verfolgt wurden, hatten sie in Deutschland Asyl erhalten. Nun aber sitzen sie aus dem gleichen Grund hierzulande wieder im Gefängnis.
Der Paragraph 129 wird auch als Gesinnungsparagraph kritisiert. Was ist aus Ihrer Sicht dazu zu sagen?
Zunächst ist im Verfahren nachzuweisen, ob die genannten Aktivitäten so überhaupt stattgefunden haben. Unabhängig davon ist in der Tat problematisch, dass für eine Verfolgung nach dem Paragraphen 129 b der Bundesjustizminister sein Okay geben muss. Ein Teil der Bundesregierung trifft also die Entscheidung, ob der deutsche Staat politische Aktivistinnen und Aktivisten als angebliche Terroristen im Ausland verfolgt oder sie als Freiheitskämpfer ansieht. Eine solche Meinung kann jedoch jederzeit plötzlich umschwenken.
Unter Recep Tayyip Erdogans AKP befindet sich die Türkei bekanntermaßen derzeit im Krieg gegen Teile der eigenen Bevölkerung. Regierungskritiker, Journalisten, Intellektuelle und Politiker verschwinden in Gefängnissen. Inwiefern spielt die aktuelle politische Situation im Verfahren eine Rolle?
Seit 2012 wird gegen die Beschuldigten ermittelt; seit fast einem Jahr sind sie in Haft. Dennoch sollte die Verfasstheit des türkischen Staates im Verfahren Thema sein. Seit langem werfen kritische Stimmen die Frage auf, ob der türkische Staat als Rechtsstaat noch insoweit funktioniert, dass es Oppositionellen überhaupt möglich ist, sich zu wehren. Das Verfahren stützt sich obendrein auf Erkenntnisse der türkischen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die diese im Rahmen von Rechtshilfeersuchen und -abkommen dem deutschen Staat zur Verfügung stellen. Wir Anwälte sind gespannt, wie im Verfahren erörtert wird, auf welche Weise Erkenntnisse der türkischen Behörden überhaupt zustande gekommen sind; ob sie demzufolge rechtlich überhaupt verwertbar sein werden.
Wie sind die Haftbedingungen hierzulande?
Die anfängliche Isolationshaft dieser politischen Gefangenen ist mittlerweile etwas gelockert. Aber es gelten eingeschränkte Verteidigerrechte; bei Besuchen gibt es eine Trennscheibe. Korrespondenz wird gegengelesen. Selbst wenn dies ein unabhängiger Richter tut – es ist inakzeptabel.
Wie kann Solidarität für diese politischen Gefangenen aussehen?
Die Gefangenen freuen sich über Post und beantworten sie auch. Sie fühlen sich dann nicht mehr so allein gelassen.
Junge Weld: Ausgabe vom 21.01.2016