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Kein Vergessen in Sivas-Tausende Menschen erinnerten an Massaker von 1993

SIVAS | 02 – 07 – 2012 | Mehrere tausend Menschen haben am Montag in Sivas und vielen anderen Städten der Türkei an das Massaker an alevitischen Intellektuellen und Künstlern von 1993 erinnert. Diese hatten sich in der mittelanatolischen Stadt Sivas mit dem Schriftsteller Aziz Nesin, der mit der Herausgabe von Auszügen aus Salman Rushdies »Satanischen Versen« den Zorn religiös-nationalistischer Kreise auf sich gezogen hatte, zu einer Veranstaltung im Hotel Madi versammelt. Dieser Zusammenkunft, die der alevitischen spirituellen Identifikationsfigur Pir Sultan Abdal gewidmet war, galt ein Brandanschlag fundamentalistischer Rechter. Unter dem Beifall einer vor dem Hotel johlenden Menge verbrannten und erstickten 33 der Versammelten, während sich die Polizei nicht blicken ließ.

Seit der Gründung der Türkischen Republik sieht sich die etwa 15 bis 20 Millionen Staatsbürger umfassende alevitische Minderheit, deren Selbstdeutung sich zwischen schiitischem Islam und anatolischem Humanismus bewegt, Enteignung, Assimilation und Stigmatisierung sowie wiederholt purer Vernichtungspolitik infolge vom Staat geduldeter Übergriffe ausgesetzt. Noch immer kämpfen die Aleviten für eine Abschaffung des verpflichtenden islamischen Religionsunterrichts an Schulen sowie um Anerkennung und Schutz ihrer religiösen Stätten. Ein dazu jüngst von der prokurdischen BDP im Parlament eingebrachter Gesetzentwurf hat jedoch wenig Aussicht auf Erfolg. Statt dessen wurden in den letzten Jahren unter der Regierungspartei AKP an mehrheitlich von Aleviten bewohnten Orten reihenweise Moscheen gebaut, während deren Gebetshäuser unter baurechtlichen Vorwänden geschlossen wurden. (Von Corinna Trogisch)