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»Vielfach werden gar keine Löhne gezahlt«

MÜNCHEN | 10 – 08 – 2010 | Etwa 300 Bulgaren fristen in München ihr Leben als Tagelöhner. Nun haben sich 100 bei ver.di organisiert. Ein Gespräch mit Dagmar Rüdenburg

Dagmar Rüdenburg ist Leiterin des Fachbereichs »Besondere Dienstleistungen« bei ver.di Bayern.

Im Münchner Bahnhofsviertel suchen immer mehr Bulgaren einen Job als Tagelöhner. Etwa 100 von ihnen haben sich kürzlich bei ver.di organisiert. Was kann denn die Gewerkschaft für sie tun?

Es handelt sich um etwa 300 Bulgaren, die sich jeden Morgen an zwei Stellen in der Nähe des Hauptbahnhofs versammeln, um auf Arbeitsangebote zu warten. Die Unternehmen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, sind vielfältig – die Arbeiten reichen vom Recycling über die Renovierung von Mietshäusern, vom Be- und Entladen von Lastwagen bis hin zur Gemüseernte. Problematisch sind dabei aber nicht nur die niedrigen Löhne von 30 bis 40 Euro pro Tag. Denn die Kollegen werden vielfach sogar um dieses Geld betrogen. Dann stehen sie nach zwei bis drei Tagen Arbeit nur mit einem Vorschuß da.

Und wie helfen Sie ihnen, zu ihrem Geld zu kommen?

Wir geben ihnen Rechtsbeistand für Klagen oder nehmen Kontakt zu den säumigen Unternehmern auf. Das Problem ist, daß die Kollegen oft nur eine Handynummer und den Vornamen ihres Kontaktmannes haben. Wir müssen dann schon fast kriminalistisch ermitteln, wer dahinter steckt. Wenn das gelingt, wende ich mich in der Regel direkt an die Unternehmer. In der Hälfte der Fälle werden die ausstehenden Löhne freiwillig nachgezahlt. Ansonsten wird geklagt.

Ausländische Tagelöhner gehören nicht zur klassischen ver.di-Klientel. Wie kam der Kontakt zustande?

Wir bieten schon seit längerem Beratungsgespräche für Menschen ohne Papiere an. Der Kontakt zu den bulgarischen Kollegen entstand über die Münchner Initiative für Zivilcourage, die seit einiger Zeit mit ihnen zusammenarbeitet. Die wandten sich an uns, weil sie Hilfe in arbeitsrechtlichen Fragen brauchten.

Warum handelt es sich bei den Tagelöhnern ausschließlich um Bulgaren?

Die Betroffenen sind größtenteils Angehörige der türkischstämmigen Minderheit in Bulgarien, die dort stark diskriminiert wird. Viele von ihnen sind Roma. Als Bulgarien 2007 der EU beitrat, haben viele die neue Reisefreiheit genutzt, weil sie sich in München ein besseres Leben erhofften.

Wie ist ihr arbeitsrechtlicher Status?

Die Leute sind völlig legal hier. Doch sie haben keine Arbeitsgenehmigung, da die volle Freizügigkeit für Bulgarien erst 2013 in Kraft tritt. Bis dahin dürfen Bulgaren nur mit einem Gewerbeschein in Deutschland arbeiten, den man problemlos beim Finanzamt bekommt. Das heißt, sie sind selbständig und müssen sich auch selbst versichern. Ein Tagelöhner bekommt bestenfalls für eine Woche im Monat Arbeit. Das reicht gerade für die Miete und das Essen.

Für eine normale Anstellung muß der Arbeitgeber eine Erlaubnis bei der zuständigen Arbeitsagentur beantragen. Es muß sichergestellt werden, daß kein Deutscher für diesen Job geeignet ist. Das dauert etwa sechs Monate. Solange kann aber kein Unternehmer warten, wenn er eine Arbeitskraft braucht.

Wie verhält sich die Stadt zu diesem Problem?

Sie vertritt den Standpunkt: »Wer als EU-Bürger hierher kommt, muß in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Also geht uns das nichts an.« Gleichwohl kann sie natürlich kein Interesse daran haben, daß sich ein größerer Arbeitsmarkt für Tagelöhner entwickelt. Doch unter Verweis auf die leeren Kassen wird nichts gemacht. In der Hoffnung, daß die Leute bald wieder zurückgehen, wird das Problem einfach ausgesessen.

Was fordert ver.di?

Wir fordern zum Beispiel einen selbstverwalteten Aufenthaltsraum, in dem auch Deutschkurse angeboten werden. Momentan müssen die Kollegen im Freien warten. Die umliegenden Café können sie vielfach nicht betreten, da die Besitzer sie verjagen und beschimpfen.

An der Tatsache, daß die Bulgaren gezwungen sind, als Tagelöhner zu arbeiten, können wir bis 2013 nichts ändern. Deshalb geht es uns auf kurze Sicht darum, die Bedingungen zu verbessern, unter denen das geschieht. (Johannes Schulten/JW)