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Hasankeyf, »Menschen sollen ihr Land fast ohne Entschädigung abtreten«

stopilisu DEUTSCHLAND | 18 – 01 – 2010 | Umweltschützer fordern Baustopp von Ilisu-Staudamm und Wende in der türkischen Energiepolitik. Ein Gespräch mit Heike Drillisch*.

Interview: Claudia Wangerin

Mit Mahnwachen in vier deutschen Städten haben Sie die türkische Regierung aufgefordert, ihre Staudammbauten im Südosten des Landes zu stoppen. Die deutsche Bundesregierung und die Regierungen Österreichs und der Schweiz haben im vergangenen Jahr nach jahrelangen Protesten ihre Bürgschaften für das Ilisu-Staudammprojekt zurückgezogen. Sehen Sie Chancen, daß der Bau ad acta gelegt wird?

Steter Tropfen höhlt den Stein. Auch die Privatbanken haben ihre Kreditzusagen zurückgezogen, als die Rücknahme der Bürgschaften bekanntgegeben wurde. Bei den bisher beteiligten Unternehmen gibt es keine einheitliche Linie. Der Stuttgarter Baukonzern Züblin hält sich noch bedeckt, ob er aussteigen will. Wir setzen darauf, daß auch andere mögliche Finanziers wie chinesische Exportkreditagenturen und türkische Banken diese Standards nicht unterlaufen werden und die türkische Regierung jetzt umdenkt. Bisher betont sie aber, den Großstaudamm am Tigris und weitere Dämme am Munzurfluß bauen zu wollen. Mit insgesamt 2000 Staudämmen will sie die Wasserkraft im Lande nutzen – sie hat aber die Bevölkerung nicht in ihre Planungen einbezogen. Deshalb stößt sie dort und international auf breiten Protest. In diesem Winter soll es nach unseren Informationen keine Bauarbeiten mehr geben.

Welche Folgen hat es für die Menschen in der Region, wenn der Dammbau nach der Winterpause weitergeht?

Den Dorfbewohnern im Baustellengebiet wurde angekündigt, daß sie spätestens im Sommer ihre Häuser verlassen müssen. Wovon sie in Zukunft leben sollen, ist völlig ungeklärt. Es wurden weder ausreichende Entschädigungen in Aussicht gestellt noch neue Einkommensperspektiven eröffnet. Auch die Menschen außerhalb der antiken Stadt Hasankeyf, die flußaufwärts von der Baustelle liegt, müssen ihr Land fast ohne Entschädigung abtreten. Es werden zwar neue Häuser gebaut, aber die Einwohner haben bislang von der Landwirtschaft gelebt und stehen jetzt ohne Ackerland da.

Ein Gerichtsurteil hat die angebotenen Entschädigungssummen sogar noch auf umgerechnet 43 Cent pro Quadratmeter halbiert. Das reicht nicht einmal für eine kleine Stadtwohnung, geschweige denn für eine Unterkunft, in der eine Großfamilie Platz hat. Dieses Verhalten ist Lichtjahre von internationalen Standards entfernt. Das entspricht nicht einmal den Vorgaben der Weltbank, die in solchen Fällen die Entschädigung und Umsiedlung regeln. Die Zahlungen müssen eine ausreichende Höhe haben, um sozialen Spannungen vorzubeugen – der Lebensstandard der Betroffenen darf sich durch die Umsiedlung nicht verschlechtern.

Wie werten Sie den Staudammbau aus energiepolitischer Sicht?

Die Türkei verfügt über ein riesiges Potential an alternativen Energie- und Einkommensquellen, die weniger schädlich für die Umwelt, die Menschen und die Kulturgüter sind als dieses Staudammprojekt. Der Munzur-Fluß in der Provinz Dersim soll mit 19 Talsperren aufgestaut werden, obwohl die umliegenden Gebirgshänge unter Naturschutz stehen. Das Munzur-Gebiet ist ökologisch äußerst wertvoll: 43 Tier- und Planzenarten kommen weltweit nur dort vor. Und die Wasserkraftanlagen werden nicht einmal ein Prozent des türkischen Energiebedarfs decken. Das steht in keinem Verhältnis, selbst wenn man die Menschen dort materiell angemessen entschädigen würde.

Bis heute haben Talsperren in der Türkei zur Verarmung Tausender Menschen wie zur Zerstörung zahlreicher Ökosysteme und vieler archäologischer Stätten geführt. Was dort gebraucht wird, ist kein Prestigeprojekt der Regierung, sondern ein breiter gesellschaftlicher Diskussionsprozeß über eine soziale und umweltverträgliche Nutzung der Wasserressourcen. (JW)

*Heike Drillisch ist Ko­ordinatorin von »GegenStrömung«, der deutschen Sektion der inter­nationalen Kampagne gegen das Südostanatolien-Stau­dammprojekt