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"Eine Begrüßung der besonderen Art an die neue Regierung …" – Bundesweite Herbstdemonstration in Berlin

montagsdemoBERLIN | 26 – 10 – 2009 | Herzlich willkommen hießen Monika Gärtner-Engel von der Montagsdemo Gelsenkirchen und Antje Grütte von der Potsdamer Montagsdemo ab 11 Uhr die aus ganz Deutschland eintreffenden Teilnehmer zur 6. bundesweiten Demonstration der Hartz-IV-Gegner gegen die Regierung. Monika Gärtner-Engel: „Diese Demonstration ist eine Begrüßung der besonderen Art – und zwar an die neue Regierung. Sie ist aber auch eine Kampfansage an diese Regierung und all das, was sie an Plänen in ihren Schubladen hat, die nach und nach herauspurzeln und deutlich machen, auf was wir uns einstellen müssen. Aber wir sind gut gewappnet. Montag für Montag gehen wir auf die Straße, zäh, kampfstark und mit einer unverbrüchlichen Solidarität untereinander.“

Sachkundig und überzeugend griffen die Redner an den offenen Mikrofonen bei der Auftaktkundgebung und während der Demonstration die Pläne und Betrugsmanöver der neuen Regierung an. Da wurde das „Bürgergeld“ als verkappte Hartz-IV-Verschlechterung aufs Korn genommen oder die rassistischen Beleidigungen von Bundesbanker Thilo Sarrazin und Ex-BDI-Chef Olaf Henkel gegen türkische Migranten als Spaltungsversuch zurückgewiesen.

Für diese große Kompetenz stand auch das breite Spektrum der Redner auf der Abschlusskundgebung. Frank Kuschel, Landtagsabgeordneter der Linkspartei in Thüringen brachte es so auf den Punkt: „In dieser Nacht wird die Zeit zurückgedreht. Symbolischer kann man nicht definieren, was in der Koalitionsrunde passiert.“ Er teilte aber auch die Kritik daran, dass sich der Bundesvorstand seiner Partei nicht dazu durchringen konnte, diese Demo zu unterstützen, und kritisierte, dass sich die Linkspartei „zunehmend als parlamentarische Linke“ definiert.

Georg Ismael vom Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ fand es sehr erfreulich, was sich unter den Schülern und Studenten derzeit alles regt. Er betonte aber auch, dass sich die im Aufschwung befindliche Schüler- und Studentenbewegung mit der Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften zusammenschließen und für gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus offen sein muss.

Gerd Schütte, Vertreter des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, prangerte an, dass die Hunderte Millionen Euro an Interventionsgeldern dazu dienen, den Milchpreis zu drücken und die Überschüsse in die 3. Welt zu verkaufen, um dort ebenfalls massenhaft Bauern zu ruinieren und in den Hunger zu treiben. Nur die „Global player“ profitierten davon.

Nabil Rachid, 1. Vorsitzender des Dachverbands der Arabischen Vereine, kritisierte, dass die Regierungen in Deutschland die Bundeswehr in eine Interventionsarmee verwandeln. Es gehe dabei nicht um „Demokratie“ oder „Freiheit“ für andere Länder, sondern nur um die Durchsetzung der „deutschen Interessen“.

Einen sehr bewegenden Moment erlebten die Teilnehmer, als Dorothea Spahlinger von der Koordinierungsgruppe bundesweite Montagsdemo auf die Bühne kam. Sie arbeitete von Anfang an in ihr mit, kann dies aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fortsetzen. Sie bedankte sich bei allen für die Mitarbeit der letzten Jahre und für die vielen Spenden, ohne die die finanzielle Unabhängigkeit der Montagsdemo-Bewegung nicht hätte beibehalten werden können: „Natürlich bin ich auch künftig in Gedanken bei allen Aktionen dabei, das ist mir eine richtige Herzensangelegenheit. Im Parlament wird der Hunger nicht abgeschafft.“ Mit großem Applaus wurde Dorothea Spahlinger verabschiedet.

Stefan Engel, Vorsitzender der MLPD, überbrachte revolutionäre Grüße und beglückwünschte die Montagsdemo-Bewegung, die „jede Menge Rückgrat“ zeige: „Bei den Beratungen der neuen Regierung sitzt auch die Montagsdemo-Bewegung am Tisch. Einer der ersten Schritte war, dass der Eindruck erweckt wurde, jetzt würde man der Bevölkerung bei Hartz IV entgegen kommen. Deshalb hat die Regierung ein Sälbchen gerührt, aber die offene Wunde wird bleiben. Wir sind da, wir bleiben und wir werden kämpfen, bis die Hartz-Gesetze gefallen sind. … Gesellschaftliche Veränderungen kommen nicht aus dem Parlament, sondern entstehen dadurch, dass die Massen selbst tätig werden. Das ist der Keim der Zukunft. Glückauf!“

Außerdem sprachen unter anderem Fred Schirrmacher von der Koordinierungsgruppe Bundesweite Montagdemo, Birgit Kühr von der „Bürgergemeinschaft gegen Sozialabbau Angermünde e.V.“, Gudrun Kimmerle, ehemalige Vertrauensleute-Sprecherin von Quelle Leipzig, ein kämpferischer Automobilarbeiter aus Südafrika, Süleyman Gürcan von der ATIF, Mario vom Jugendverband REBELL, eine Vertreterin vom Bundesvorstand des Frauenverband Courage sowie Vertreter von „Solidarität International“ und der „Bürgerbewegung für Kryo-Recycling, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz“.

Mit Liedern und Kulturbeiträgen hatte sich die wachsende Menschenmenge zuvor schon auf dem Alexanderplatz im kalten und nebligen Berlin warm gemacht. Neu Ankommende wurden freudig begrüßt und die bereits anwesenden Delegationen mit ihren einfallsreichen Transparenten und Schildern von der Bühne aus vorgestellt. Ab 12.30 Uhr zog sich ein langer Demonstrationszug von bis zu 3.500 Teilnehmern durch Berlin-Mitte.

Zu sehen waren neben den Transparenten zahlreicher Montagsdemonstrationen aus Ost und West auch Fahnen und Transparente der MLPD, der Linkspartei, der Gewerkschaften IG Metall, Verdi, IGBCE und GEW, der Migrantenorganisationen ATIF und anderer, des Frauenverbands Courage sowie verschiedener überparteilicher Kommunalwahlbündnisse. Gleich nach der Demonstrationsspitze folgte ein beeindruckender Jugendblock des REBELL und der Kinderorganisation ROTFÜCHSE. Daimler-Kollegen unter anderem aus Sindelfingen waren mit Schildern zu sehen, ebenso eine Delegation von Goldschmidt aus Gelsenkirchen und des Klinikums Duisburg.

Auch Teilnehmer aus anderen Ländern, unter anderem den Philippinen, aus Südafrika und Russland waren da. Ein russischer Ford-Arbeiter aus Sankt Petersburg, der zuvor am 6. Internationalen Automobilarbeiterratschlag in Hannover teilgenommen hatte, berichtete bei der Auftaktkundgebung: „Bis zu unserem Streik Ende 2007 haben wir uns relativ wenig interessiert für die Entwicklungen und Kämpfe auf der ganzen Welt. Während des Streiks haben wir sehr viel Solidarität gerade auch aus Deutschland erhalten. Daraus haben wir die Schlussfolgerung gezogen, dass wir uns international vereinigen müssen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Zusammen werden wir siegen!“

Der bunte Demonstrationszug mit vielen Musikgruppen und offenen Mikrofonen erweckte große Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. In den Einkaufsstraßen blieben immer wieder Leute stehen, hörten zu und lasen die Transparente und Flugblätter. Viele schauten aus den Fenstern zu, winkten oder nickten zustimmend. Andere Passanten reihten sich kurzerhand ein und liefen zeitweilig oder bis zum Schluss mit. In ihrem sechsten Jahr hat die bundesweite Herbstdemonstration der Montagsdemo-Bewegung mehr denn je ihre große Anziehungskraft unter Beweis gestellt und war damit ein gebührender Auftakt im Kampf gegen die neue Regierung.

Quelle: Rote Fahne