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»Die Linke soll sich nicht bange machen lassen«

ingviettAntimilitaristin wegen Protest gegen Bundeswehr in Berlin vor Gericht. Ein Gespräch mit Inge Viett*

Sie wurden 2008 bei Protesten gegen das Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin festgenommen und stehen nun vor Gericht. Was wird Ihnen vorgeworfen?

Es sind Standardvorwürfe, die formuliert werden, wenn man versucht, sich prügelnden Polizisten zu entziehen: »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« und »versuchte Gefangenenbefreiung«.

Was war Ihre Motivation, gegen das Gelöbnis zu demonstrieren?

Der Widerstand gegen Gelöbnisse in Berlin hat eine jahrelange Geschichte. Nach heftigen Protesten 1996 und 1998, als die Vereidigung noch im öffentlichen Raum – auf dem Schloßplatz Charlottenburg und vor dem Roten Rathaus – stattfand, erfolgte die Vereidigung der Rekruten seit 1999 im Innenhof des Bendlerblocks. 2008 gab es eine weitere Eskalation. Das sogenannte Vereidigungsritual wurde zum ersten Mal vor dem Reichstag zelebriert.

Deutsche Auslandseinsätze stoßen bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Ablehnung. Dagegen unternehmen Bundeswehr und Regierung mit ihrer affirmativen Medienindustrie eine umfassende Propagandaoffensive. Dazu gehören Zapfenstreich und Gelöbnisse, Denkmäler, Orden, Waffenshows, Fackelzüge, Heldenfilme … Diese Rituale haben eine unheilvolle Tradition und sind heute erneut die Begleitmusik für die deutsche Kriegsarmee im Einsatz.

Deutschlands Sicherheit müsse am Hindukusch verteidigt werden, betonen Politiker aller Couleur. Was entgegnen Sie?

Es sind nicht »Politiker aller Couleur«, sondern die, welche die Hegemonie im herrschenden Apparat und im Parlament haben. Die Parteien und Funktionsträger der besitzenden Klasse, die an der strategischen Sicherung von Ressourcen für ihr ganzes aufgeblasenes ökonomisches Profitsystem interessiert sind. Diese Profitökonomie braucht den Krieg, weil sich eben nicht alle Völker oder Nationen ihre Ressourcen widerstandslos wegnehmen oder abhandeln lassen.

Diesen Zusammenhang von Krieg und Profit kennen nicht nur wir, auch die kapitalistische Elite weiß gut darüber Bescheid und setzt vieles daran, den Zusammenhang zu verschleiern.

In Afghanistan wird ein brutaler Krieg um strategische Einflußzonen, um Märkte und Ressourcen geführt. Die schlimmsten Waffen, die in der deutschen Rüstungsindustrie entwickelt wurden, werden dabei erprobt. Aber unbeeindruckt von den Massakern wird weiterhin von Aufbau, Verteidigung und Friedensmission gelogen. Es ist diese Dreistigkeit und Hinterhältigkeit, die mir das Blut zum Kochen bringt.

Verschiedene Medien haben Ihre Beteiligung an den Protesten hochgespielt. »Wer stopft der Ex-Terroristin das Schandmaul?« titelte die Bild. Schüchtern Sie derartige Gewaltaufrufe ein?

Das ist die Mobpresse, Spießgesellen einer zutiefst verkommenen Herrschaftsklasse. Dreigroschenknechte. Bild, BZ, Kurier etc. haben journalistisch gesehen ein Gossenbewußtsein. Es ist nicht so schlimm, wenn sie sich an mir abarbeiten. Die Katastrophe ist ihr Einfluß auf das Massenbewußtsein.

In den vergangenen Monaten ist es zum Beispiel im Zusammenhang mit dem 1. Mai zu regelrechten Haßkampagnen gegen die radikale Linke gekommen. Fühlen Sie sich an die Attacken aus dem Hause Springer in den 1970er Jahren erinnert?

Da war es bedeutend schärfer, weil die gesellschaftliche Auseinandersetzung durch eine offensive und hochmotivierte revolutionäre Bewegung bestimmt war. Aber allein die gegenwärtigen Anzeichen vom Erstarken einer widerständigen Szene, die sich rigoros gegen den kapitalistischen Alltag stellt und nach einer revolutionären Praxis sucht, lösen die Haßreflexe und Repressionsbedürfnisse der kapitalistischen Statthalter aus. Ein Bruch mit und der Kampf gegen ihr verkommenes Gesellschaftssystem ist der Bourgeoisie unerklärlich und zuwider. Die radikale Linke soll sich nicht bange machen lassen, sondern den kommenden Klassenkämpfen und der unweigerlich steigenden Repression ins Auge sehen und sich vorbereiten.

Der Kapitalismus ist dem Untergang geweiht. Er hat nichts mehr als Zerstörung und Fäulnis auf der Pfanne. Wir aber haben die bessere Perspektive. Wenn nicht heute, dann morgen: den Kommunismus.

Prozeß gegen Inge Viett am Donnerstag, 9.30 Uhr, Berliner Amtsgericht, Raum 370, Turmstraße 91

*Inge Viett war Mitglied der »Bewegung 2. Juni«

Quelle: Junge Welt