Home , Europa , Außenpolitik im Gerichtssaal

Außenpolitik im Gerichtssaal

Bundesjustizminister gibt sich unwissend, wenn es um den Prozess gegen türkische Linke geht.

Bundesjustizminister Heiko Maas gibt gerne den wehrhaften aufgeklärten Demokraten: »Die Gangart gegenüber der Türkei muss härter werden«, erklärte der SPD-Politiker im Juli dieses Jahres. Anlass war die hohe Zahl willkürlicher Inhaftierungen in dem NATO-Partnerland, von denen auch deutsche Staatsbürger betroffen sind.

Vom seit Juni 2016 laufenden Münchner Prozess gegen zehn türkische Kommunistinnen und Kommunisten, die wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß Paragraph 129b angeklagt sind, ohne dass ihnen konkrete Straftaten vorgeworfen werden, wusste Maas angeblich nichts, als er am 14. August beim »Speed Dating« der SPD in Frankfurt-Bockenheim darauf angesprochen wurde.

Die Verteidiger hatten mehrfach in Pressemitteilungen darauf hingewiesen, dass die Partei, der ihre Mandanten angehören sollen, in Deutschland nicht einmal verboten ist: Die TKP/ML (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) stehe auch nicht auf internationalen Terrorlisten.

Der Einleitung dieses Strafverfahrens liege vielmehr eine außenpolitische Entscheidung zugrunde: die Erteilung der sogenannten Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium. Im Hause Maas scheint man sich also in diesem Punkt mit der türkischen AKP-Regierung einig zu sein – was der Justizminister selbst auf Nachfrage nicht zugeben wollte. Statt dessen habe er angegeben, von einer solchen Verfolgungsermächtigung nichts zu wissen, berichtete die Aktivistin Frankfurter Renate Windelband Anfang der Woche gegenüber junge Welt.

Offizielle Stellungnahmen dazu vermeidet das Ministerium insbesondere seit der Repressionswelle nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Juli 2016. Auch Antworten auf Nachfragen dieser Zeitung stehen noch aus.

Eine Verfolgungsermächtigung hatte das Ministerium auch im Fall der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erteilt, die allerdings im Gegensatz zur TKP/ML auch in Deutschland verboten ist – seit 1993. Anwälte mutmaßlicher PKK-Kader luden hierzulande bereits Exilpolitiker der Demokratischen Partei der Völker (HDP) als Zeugen ein, die die Situation schildern und verdeutlichen sollten, wie Oppositionelle in der Türkei in die Illegalität getrieben werden. Im Januar sagte der Parlamentsabgeordnete Faysal Sariyildiz, der sein Mandat wegen eines offenen Haftbefehls nicht wahrnehmen kann, in einem Berliner PKK-Prozess aus und erhob schwere Vorwürfe gegen türkische Behörden und das Militär, insbesondere wegen Kriegsverbrechen in den kurdischen Landesteilen (siehe jW vom 5. Januar 2017). Einer der Angeklagten im TKP/ML-Prozess vor dem Oberlandesgericht München war bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Türkei schwerer Folter ausgesetzt.

Gleichwohl war in das TKP/ML-Verfahren im Januar 2017 sogar ein Dokument einer türkischen Polizeibehörde über mutmaßliche Mitglieder der Organisation im deutschen Exil eingeführt worden (siehe jW vom 7. April 2017). Da in dem Papier unverblümt angegeben worden war, dass es auf Geheimdienstinformationen beruhe, hatte die Verteidigung bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit türkischer Sicherheitsbehörden gestellt. Es könne nicht sein, dass Ergebnisse solcher Spitzeltätigkeiten in Deutschland als Beweismittel verwertet würden, erklärte dazu seinerzeit Rechtsanwalt Peer Stolle, der in dem Verfahren die Nürnberger Ärztin Dilay Büyükavci verteidigt.

Maas behauptete beim besagten »Speed Dating«, seit dem Putschversuch sei das Rechtshilfeabkommen mit der Türkei ausgesetzt. (Von Claudia Wangerin / Junge Welt)