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Linke Journalistin „Mesale Tolu“ im Knast

Nach Deniz Yücel wurde bereits am 30. April mit Mesale Tolu eine weitere deutsche Journalistin in der Türkei verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Die dafür angegbenen Gründe scheinen ebenso absurd wie die Anschuldigungen gegen den Welt-Journalisten Yücel. Auch Mesale Tolu wird vorgeworfen, dass sie Mitglied einer »terroristischen Organisation« sei und Propaganda für diese gemacht habe. Die genauen Vorwürfe gegen die 1984 in Ulm geborene Mesale Tolu sind jedoch bislang weder der Öffentlichkeit noch ihrer Familie oder ihren Anwälten bekannt. Das Gericht, das über die Anordnung der Untersuchungshaft zu entscheiden hatte, hat die Akten als geheim eingestuft. Damit bekommen nicht einmal Tolus Anwälte diese zu Gesicht. Weder eine effektive Verteidigung noch ein faires Verfahren ist so möglich.

Die einzige konkrete Tat, die der Verhafteten bisher angelastet wurde, ist die Teilnahme an einer Gedenkfeier für die in Rojava (den kurdischen Gebieten in Syrien) getötete deutsche Internationalistin Ivana Hoffmann. Außerdem soll sie an einer Beerdigungszeremonie für zwei durch die Polizei in Istanbul erschossene Kommunistinnen teilgenommen haben. Eine Antwort auf die Frage, wie dadurch der Straftatbestand der Mitgliedschaft oder Propaganda für eine »terroristische Organsiation« erfüllt worden sein soll, blieb das Untersuchungsgericht schuldig.

Im Gegensatz zu Yücel hat Tolu lediglich die deutsche Staatsangehörigkeit, was die konsularische Betreuung und den Zugang von Vertretern der deutschen Botschaft zu Tolu vereinfachen dürfte. Die Familie der Verhafteten bestätigte gegenüber jW, dass es am vergangenen Mittwoch ein Gespräch zwischen der Familie und dem deutschen Generalkonsulat in Istanbul gab. Dabei wurde zugesichert, dass sich das Konsulat ebenso wie das Auswärtige Amt um einen Besuchstermin bei Mesale Tolu bemühen werde, so die Familie.

Tolu schilderte im Polizeigewahrsam gegenüber ihren Anwälten die Umstände ihrer Festnahme. Am 30. April gegen 4.30 Uhr drangen demnach vermummte und mit Sturmgewehren bewaffnete Spezialeinheiten der Antiterrorabteilung der Istanbuler Polizei gewaltsam in ihre Wohnung ein, wo sie sich gemeinsam mit ihrem zweijährigen Sohn aufhielt. Sie wurde von den Beamten zu Boden geworfen und gefesselt. Ein Polizist setzte sich gar auf ihren Rücken. Die Inhaftierte berichtete ihren Anwälten weiter, dass sie während der Durchsuchung körperlich und psychisch misshandelt und nicht zu ihrem Sohn gelassen wurde. Auch ihr Mann, Suat Corlu, sitzt bereits seit dem 4. April – nach seiner Festnahme in Ankara – in Untersuchungshaft.

Mesale Tolu arbeitete bis zu ihrer Festnahme ehrenamtlich als Journalistin und Übersetzerin für die sozialistische Nachrichtenagentur ETHA. Zuvor war sie bereits für die regionale Radiostation Özgür Radyotätig gewesen, bis diese am 4. September 2016 durch ein Dekret des Staatspräsidenten Erdogan geschlossen und die gesamte technische Ausrüstung des Radios beschlagnahmt wurde. Tolus Schwester Gülay geht davon aus, dass die Journalistin vor allem wegen ihrer Arbeit und wegen ihrer politischen Tätigkeit zur Zielscheibe der türkischen Justiz geworden ist. »Es kann doch nicht sein, dass man bestraft wird, nur weil man an Beerdigungen und Gedenkfeiern teilgenommen hat«, beklagte sie gegenüber jW.

Unterstützung bekommt die Familie von Freunden aus der Türkei und zahlreichen europäischen Ländern. Im Internet haben diese zudem eine Kampagne mit den Hashtags #Free­MesaleTolu und #FreeTurkeyMedia gestartet. (Junge Welt/Kevin Hoffmann)