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Der deutsche Beitrag zum Genozid

genosid1915BERLIN |31-05-2016| Die für diese Woche im Bundestag angekündigte Resolution zum Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich betrifft auch Taten hochrangiger deutscher Offiziere. Wie Historiker nachgewiesen haben, hatten deutsche Soldaten, die im Rahmen einer damaligen Militärmission Berlins im Osmanischen Reich stationiert waren, nicht nur Kenntnis von dem Genozid; sie waren teilweise sogar aktiv in ihn involviert. Demnach amtierte ein deutscher Generalleutnant als Chef des Generalstabs der osmanischen Armee, als dieser am 27. Mai 1915 das Gesetz zur Deportation der armenischsprachigen Minderheit entwarf. Zudem hat ein deutscher Offizier eigenhändig einen Deportationsbefehl unterzeichnet. Darüber hinaus wurde der Genozid von deutschen Stellen mit der Behauptung legitimiert, die armenischsprachige Minderheit betreibe „Wühlarbeit“ zugunsten des gemeinsamen Kriegsgegners Russland; man müsse daher gegen sie einschreiten. Weil Genozid nicht verjährt, kann die Frage nach etwaigen Entschädigungszahlungen durch Berlin nicht prinzipiell abgewiesen werden – ein Umstand, der mit dafür verantwortlich ist, dass die Bundesregierung jede Anerkennung des Völkermordes bislang konsequent vermieden hat.
Erstmals anerkannt
Für diesen Donnerstag kündigt der Deutsche Bundestag eine Befassung mit dem Genozid an der armenischsprachigen Minderheit im Osmanischen Reich und die Abstimmung über eine Resolution dazu an.[1] Der Wortlaut der Resolution soll unter dem Titel „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“ verabschiedet werden. Damit stuft das deutsche Parlament den Massenmord an den Armeniern, dem bis zu 1,4 Millionen Menschen zum Opfer fiMarcharmenianselen, erstmals ausdrücklich als Genozid ein. Dem kommt nicht zuletzt deswegen Bedeutung zu, weil deutsche Offiziere damals in den Völkermord involviert waren.
Starke Stellung
Als der Genozid an der armenischsprachigen Bevölkerung des Osmanischen Reichs im April 1915 begann, hatte das Deutsche Reich in Konstantinopel eine höchst einflussreiche Stellung inne. Diese hatte es sich über mehrere Jahrzehnte hin aufgebaut. Hintergrund war das Berliner Bestreben, den Landweg in den Mittleren Osten und nach Indien unter Kontrolle zu bekommen, um dort mit der britischen Weltmacht zu konkurrieren. Die Route führte über die heutige Türkei. Bereits im Jahr 1882 hatte die deutsche Regierung Offiziere nach Konstantinopel entsandt, die dort die maroden osmanischen Streitkräfte modernisieren sollten. Das sicherte Berlin eine stärkere Position im Osmanischen Reich, zumal die Maßnahme letztlich erfolgreich war: Beobachter schrieben den Sieg der osmanischen Truppen im Krieg gegen Griechenland 1896/97 der deutschen Militärhilfe zu. 1888 erhielt ein deutsch geführtes Konsortium zudem den Auftrag zum Bau der Anatolischen Eisenbahn von Konstantinopel nach Ankara und Konya. 1899 folgte der Auftrag zum Bau der Bagdad-Bahn von Konya in die heutige irakische Hauptstadt und weiter bis an den Persischen Golf. Die Entsendung einer zweiten Militärmission nach Konstantinopel im Jahr 1913 trug schließlich zu einer zusätzlichen Festigung der deutsch-osmanischen Beziehungen bei.
Führungspositionen
Als der Weltkrieg begann und das Osmanische Reich bald auf deutscher Seite in ihn eintrat, hatten in seinen Streitkräften deutsche Offiziere aus der Militärmission nicht nur allgemein Einfluss, sondern sogar Führungspositionen inne. Generalleutnant Friedrich Bronsart von Schellendorf etwa amtierte als Generalstabschef der osmanischen Armee. Otto von Feldmann leitete die Operationsabteilung der osmanischen Obersten Heeresleitung. Major Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg fand als Stabschef des stellvertretenden Kommandeurs der osmanischen IV. Armee Verwendung. Sogar reguläre Kriegsoperationen wurden von deutschen Offizieren geführt. So kommandierte General Otto Liman von Sanders, der offizielle Leiter der Militärmission, die Abwehrschlacht von Gallipoli, die Anfang des Jahres 1915 die deutsch-osmanische Kontrolle über die Dardanellen, also über den Seeweg aus dem Schwarzen Meer ins Mittelmeer sicherte und auf diese Weise Russland von seinen westlichen Kriegsverbündeten abschnitt.[2]
„Russlands Vortruppen“
Der gemeinsame Krieg gegen Russland führte dazu, dass die armenischsprachige Minderheit im Osmanischen Reich ins Visier auch deutscher Offiziere und deutscher Diplomaten geriet: Ihr wurden Sympathien für den russischen Feind nachgesagt. „Daß die Armenier sich vor dem Kriege und während desselben nicht als türkische Untertanen, sondern in erster Linie als russische Vortruppen betrachteten, ist wohl klar erwiesen“, wurde später der deutsche Offizier Otto von Feldmann zitiert. Ähnlich äußerten sich deutsche Stellen auch, als die osmanischen Behörden am 24. April 1915 mit einer Verhaftungswelle gegen die armenischsprachige Minderheit vorzugehen begannen und bald die ersten Deportationen einleiteten. Hunderttausende wurden auf Fußmärsche in die syrische Wüste getrieben, Zahllose wurden gefoltert, dem Hungertod ausgesetzt oder ermordet. „Die von Rußland genährte armenische Wühlarbeit hat Dimensionen angenommen, welche den Bestand der Türkei bedrohen“, behauptete der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Hans Freiherr von Wangenheim, am 31. Mai 1915 in einem Schreiben nach Berlin. „In dieser kritischen Lage“, äußerte Bronsart von Schellendorf mit Blick auf den Weltkrieg, „faßte das Gesamtministerium den schweren Entschluß, die Armenier für staatsgefährlich zu erklären und sie zunächst aus den Grenzgebieten zu entfernen“. Man dürfe „die türkischen Maßnahmen … nicht grundsätzlich hindern“, verlangte wiederum Botschafter von Wangenheim; dass die Deportationen „in der gesamten uns feindlich gesinnten Welt wieder große Aufregung verursachen“ würden, sei hinzunehmen.[3]
„Hart, aber nützlich“
Tatsächlich waren deutsche Offiziere zumindest punktuell sogar selbst in den Genozid an den Armeniern involviert. Der Generalstab des osmanischen Heeres, der von Bronsart von Schellendorf geleitet wurde, erstellte die Vorlage für das am 27. Mai 1915 verabschiedete Deportationsgesetz, das die Verschleppung der gesamten armenischsprachigen Bevölkerung in die syrische Wüste vorsah. Manche Historiker sind der Auffassung, Bronsart von Schellendorf sei sogar der „organisatorische Kopf hinter den Deportationen“ gewesen. Deutsche Militärs trugen nicht nur dazu bei, armenische Widerstandshandlungen mit Waffengewalt niederzuschlagen. Zumindest einer von ihnen, Oberleutnant Karl Anton Böttrich, der Leiter der Eisenbahn- und Transportdivision im osmanischen Generalstab, hat eigenhändig einen Deportationsbefehl unterzeichnet, nämlich denjenigen gegen die armenischen Arbeiter, die beim Bau der Bagdadbahn beschäftigt waren. Franz Günther, Vizepräsident der Anatolischen Eisenbahn, urteilte erschüttert: „Man muss in der Geschichte der Menschheit weit zurückgehen, um etwas Ähnliches an bestialischer Grausamkeit zu finden wie die Ausrottung der Armenier in der heutigen Türkei“.[4] Dennoch billigten deutsche Militärs in führender Position den Genozid ausdrücklich. „Die Armenier werden – aus Anlaß ihrer Verschwörung mit den Russen! – jetzt mehr oder weniger ausgerottet“, hielt Humann am 15. Juni 1915 trocken fest: „Das ist hart, aber nützlich.“[5]
Deutsche Mitverantwortung
Die Bundesrepublik hat sich bislang stets geweigert, den Genozid an der armenischsprachigen Minderheit im Osmanischen Reich als solchen anzuerkennen. Noch im April 2015 relativierte ein Regierungssprecher die Feststellung des Bundespräsidenten, „wir Deutsche insgesamt“ müssten „uns noch einmal der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen gar um eine Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht“ [6], mit der Aussage: „Die Worte des Bundespräsidenten stehen wie immer für sich.“[7] Ursache ist, dass Genozid ein Straftatbestand ist, der nicht verjährt, und dass das Eingeständnis, deutsche Stellen könnten damals im Osmanischen Reich in den Völkermord involviert gewesen sein, dazu zwänge, sich der Frage nach einer deutschen Entschädigung für die Opfer zu stellen. Letzteres hat die Bundesregierung stets konsequent zu vermeiden gesucht: Zum unverbindlichen Gedenken ist Berlin stets bereit, solange es nichts kostet.