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Todesfalle Stahlwerk

Refat Süleyman war erst seit wenigen Tagen auf dem Gelände eingesetzt, als er am Morgen des 14. Oktober in die Pause geschickt wurde. Danach verlor sich seine Spur. Polizei und Werkschutz nahmen die Suche auf. Erst am Abend des 17. Oktober wurde der Leichnam des 26jährigen bulgarischen Arbeiters in einem Schlackebecken gefunden. Die bulgarische Gemeinde und Gewerkschaften fordern seitdem eine sofortige Aufklärung der Todesumstände, denn jene metertiefen Becken, in denen sich Reste aus der Metallgewinnung, Fett und Schlamm befinden, sind laut Auskunft von Werksangehörigen mehrfach mit Zäunen und Gittern gesichert.

Vor allem über soziale Netzwerke verbreiten sich seit Tagen Zweifel von Angehörigen und Freunden des Verstorbenen an der Darstellung der Polizei. So glauben viele Bulgaren in Duisburg nicht, dass umgehend eine Suchaktion eingeleitet worden sei. Auch wird von vielen angezweifelt, dass es sich um einen bloßen Arbeitsunfall handelt, ein Gewaltverbrechen wird nicht ausgeschlossen. Die Spekulationen gehen sogar so weit, dass Süleyman vorsätzlich umgebracht worden sei. Nach der Obduktion des Leichnams am vergangenen Donnerstag gehen die Ermittler davon aus, dass der Arbeiter ohne Fremdeinwirkung durch einen Unfall ums Leben gekommen ist.

An einem Protestmarsch durch den Duisburger Stadtteil Bruckhausen beteiligten sich am Sonntag nach verschiedenen Schätzungen 500 bis 2.000 Personen, um die Forderung nach Aufklärung zu bekräftigen. Die aus der ganzen Region angereisten Demonstrantinnen und Demonstranten trugen Bilder des Verstorbenen. Schilder zeigten die Forderung, dass niemand mit Angst zur Arbeit gehen müssen solle und dass »die Wahrheit voranschreitet«. Die häufig gerufene Parole war »Adalet«, das türkische Wort für Gerechtigkeit. Die Demonstration endete mit einer Kundgebung vor den Werkstoren des größten Stahlproduzenten in der BRD. Rednerinnen und Redner aus der bulgarischen Community sowie Angehörige von Refat Süleyman kündigten weitere Proteste an.

Auch Süleyman Gürcan, Bezirksvorstandsmitglied der IG BAU Duisburg, äußerte sich am Montag im Gespräch mit junge Welt tief betroffen. Um Missstände endlich ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken und zu beseitigen, dürften doch keine Menschen ums Leben kommen. Damit spielt Gürcan auf die allgemeinen Arbeitsbedingungen bulgarischer Kolleginnen und Kollegen an. »Sie werden buchstäblich wie Menschen dritter Klasse oder moderne Sklaven behandelt.« Informationen von junge Welt zufolge war der tote 26jährige Arbeiter bei einer Leiharbeitsfirma in Oberhausen angestellt, die ihn an eine Reinigungsfirma für Industriegelände mit Sitz im Ruhrgebiet vermittelt hatte. Kollegen aus Bulgarien sollen die gleichen Rechte wie alle haben, fordert Gürcan. Es fehle jedoch an Ausbildung und Arbeitsschutz. »Es gibt eine hohe Sprachbarriere, weil viele wichtige Hinweise nicht übersetzt und damit nicht verstanden werden«, kritisierte der Gewerkschafter gegenüber jW. Auch er forderte eine umfassende Aufklärung des Todes von Süleyman im Thyssen-Werk, damit die Angehörigen »wenigstens etwas zur Ruhe kommen« könnten.

Gewerkschaftssekretär Mahir Sahin, zuständig für Reinigungskräfte bei Thyssen-Krupp, sprach gegenüber dieser Zeitung von unhaltbaren Zuständen. Immer wieder käme es vor, dass Arbeiterinnen und Arbeiter mit Sprachbarrieren in der Gebäudereinigungsbranche regelrecht ausgetrickst würden. »Das wird von Arbeitgebern knallhart ausgenutzt, Stunden nicht bezahlt, Aufhebungsverträge untergejubelt, zuwenig Ausrüstung und Arbeitsschutz gestellt, alles um die Ausbeutungsverhältnisse fortzusetzen«, sagte er am Montag. Die IG BAU betreibe Aufklärung in den Betrieben und übersetze Materialien der Gewerkschaft in zehn Sprachen, um dem entgegenzuwirken.

Quelle: JungeWelt