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Serbien verstößt gegen sein eigenes Gesetz

Seit 14 Monaten ist der türkische Sozialist Ecevit Piroglu in Auslieferungshaft. Ein Gespräch mit Cevat Dökmeci

Cevat Dökmeci ist Mitglied der »Initiative für die Freiheit von Ecevit Piroglu«

Der aus der Türkei stammende Sozialist Ecevit Piroglu befindet sich seit 14 Monaten in Serbien in Haft, obwohl er als politischer Geflüchteter anerkannt ist. Was ist der Grund dafür?

Grund für seine Verhaftung ist das Interpol-System, das die Türkei als Instrument zur Bestrafung ihrer politischen Gegner im Ausland missbraucht, um deren Auslieferung zu erwirken. Das wankende AKP-MHP-Regime in der Türkei ist auf der Suche nach »äußeren Siegen«, wie der Auslieferung eines als Terroristen bezeichneten Oppositionellen.

Warum ist die türkische Regierung so hinter Piroglu her?

Ecevit Piroglu ist eine bekannte politische Persönlichkeit, die seit 1992 für Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit und Sozialismus in der Türkei kämpft. Er war in der Studierendenbewegung aktiv, arbeitete als Redaktionsleiter der Zeitschrift Genc Devrimci und war Direktor des Menschenrechtsvereins IHD. Aufgrund seiner politischen Tätigkeit wurde er oft festgenommen und war mehrfach im Gefängnis. Als einer der führenden Aktivisten des Gezi-Widerstands im Jahr 2013 geriet er verstärkt ins Visier des Staates. Nach seiner letzten Haftentlassung floh er angesichts einer weiteren drohenden Inhaftierung ins Ausland, wo er seine politische Arbeit fortsetzte. So kämpfe er mehrere Jahre im nordsyrischen Rojava gegen den sogenannten Islamischen Staat, der mit offener Unterstützung der Regierung Erdogan barbarische Angriffe auf die Völker der Region verübte.

Welche Strafe würde Piroglu im Falle einer Auslieferung an die Türkei erwarten?

Oppositionelle, die Erdogans Regierung kritisieren, werden in der Türkei zu Terroristen erklärt, gefoltert und zu Hunderten von Jahren Gefängnis verurteilt. Als dies würde Ecevit Piroglu im Falle seiner Auslieferung oder Entführung in die Türkei drohen.

Verbietet das serbische Recht nichtAuslieferungen an Staaten wie die Türkei, wo auch Folter droht?

Doch. Nach serbischem Recht hätte Piroglu innerhalb von zwölf Monaten nach der Inhaftierung freigelassen werden müssen. Durch die immer noch bestehende Geiselhaft verstößt Serbien gegen sein eigenes Gesetz sowie gegen internationale Menschenrechtskonventionen. Es geht hier um wirtschaftliche und politische Interessen. So war Erdogan zehn Tage vor dem Verhandlungstermin am 16. September in Belgrad. Neben Wirtschaftsvereinbarungen wurde auch über eine Auslieferung von Piroglu gesprochen.

Vergangene Woche hat das Berufungsgericht in Belgrad die Entscheidung einer unteren Instanz aufgehoben, Piroglu an die Türkei auszuliefern. Damit hat er zwar das Recht auf ein Wiederaufnahmeverfahren in seinem Fall, doch das Gericht hat noch keine Entscheidung über seine Freilassung getroffen. Piroglu befindet sich deswegen weiterhin im Hungerstreik. Wie ist sein Gesundheitszustand?

Unser Genosse trat am 2. Juni einen unbefristeten Hungerstreik, um – wie er erklärte – »die schmutzigen internationalen Abmachungen zu entlarven und den Bemühungen der demokratischen Kräfte, die sich im Ausland mit ihm solidarisieren, eine Stimme zu verleihen«. Inzwischen ist sein Gewicht auf 50 Kilogramm gesunken. Bei der Gerichtsverhandlung am 30. September habe ich ihn deutlich geschwächt, aber immer noch voller Kampfgeist erlebt.

Wie steht es um die Solidarität mit Piroglu?

Von Anfang an stand das »Bündnis der Demokratischen Kräfte Europas« hinter uns. Durch den Kontakt zu demokratischen, antifaschistischen Bewegungen in Serbien sowie in der Schweiz konnten wir vor den Gerichtsverhandlungen auf die Situation unseres Genossen aufmerksam machen. Wir haben dem UN-Ausschuss gegen Folter und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Solidaritätserklärung für Piroglu überreicht, die von mehr als 50 internationalen sozialistischen Organisationen und Persönlichkeiten unterzeichnet war. Aktivistinnen und Aktivisten in Athen und Genf sind in einem Solidaritätshungerstreik getreten, um der Forderung nach Freilassung Nachdruck zu verleihen.

Quelle: JungeWelt