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Schuften für Hungerlohn

Die Initiative »Clean Clothes Campaign« hat zu den Lebens- und Arbeitsbedingungn türkischer Textilarbeiter recherchiert und teilte dazu am Donnerstag mit:

1,5 Millionen Menschen beschäftigt die türkische Bekleidungsindustrie. (…) Fast jede Modemarke lässt in der Türkei nähen. Die fünf wichtigsten Exportmärkte für Bekleidung »Made in Turkey« sind Deutschland, Spanien, Großbritannien, die Niederlande und Frankreich (in der Reihenfolge ihres Exportanteils). (…)

Angesichts der akuten wirtschaftlichen und sozialen Krise in der Türkei – allein in 2021 erreichte die Inflationsrate laut unabhängigen Quellen 83 Prozent – hat die türkische Clean Clothes Campaign die aktuellen Lohn- und Arbeitsbedingungen der Modebranche recherchiert. In den letzten zwei Jahren interviewten sie Hunderte von Arbeiterinnen und Arbeitern in Istanbul und Izmir, wo die Modeindustrie konzentriert ist. Arbeiter*innen berichteten: »Ich komme kaum zurecht. Ich habe Schulden. Wenn ich keine Überstunden mache, bin ich im Minus. Wenn die Kinder in die Schule kommen, muss ich noch mehr Überstunden leisten, damit wir über die Runden kommen.« »Unser Lohn kann unsere monatlichen Kosten nicht decken. Die Kinder müssen in den Schulferien und an den Wochenenden auch nähen gehen.« Täglich wird der Lohn weiter entwertet, die Preise steigen. Die Näherinnen und Näher verdienen selbst mit Überstunden meist nur den gesetzlichen Mindestlohn oder geringfügig mehr. Für den Lohnjob müssen Ausbildungen abgebrochen werden: »Weil ich verschuldet bin, hat mein Kind die Schule aufgegeben und arbeitet nun.«

Mindestlohnerhöhungen konnten den Kaufkraftverfall der Löhne nicht kompensieren. Während der Mindestlohn sich aktuell auf 4.253 türkische Lira oder 241 Euro netto beläuft, liegt ein Basisexistenzlohn bei 13.000 türkischen Lira oder 880 Euro (Januar 2022). (…) Das bedeutet, dass der Mindestlohn nur etwa ein Viertel der grundlegenden Lebenshaltungskosten finanziert. Trotz Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohnes von zuletzt 51 Prozent können Beschäftigte nur durch ständige Umschuldung und Zweitjobs überleben. Bego Demir von der türkischen Clean Clothes Campaign betont, dass »wegen der Hyperinflation die Textilarbeiter*innen mit dem fast unlösbaren Problem konfrontiert sind, ihre Familien zu ernähren«.

 

Zudem arbeiten 60 Prozent der 1,5 Millionen Beschäftigten ohne Arbeitsvertrag, ohne Sozialversicherung, ohne klare Entlohnung. Die Schattenwirtschaft boomt. Tagelöhner aus aller Herren Länder – Geflüchtete oder Migrant*innen – schuften in der Türkei für globale Modemarken. Häufige Verletzungen von Grundrechten betreffen insbesondere gewerkschaftliche Rechte, Kinderarbeit und Diskriminierung. Überstundenregelungen bleiben durchgängig unbeachtet – und niemand kontrolliert oder ahndet dies.

Bego Demir von der türkischen Clean Clothes Campaign fordert, dass »Modemarken, die in der Türkei Lieferketten haben, sicherstellen müssen, dass ihre Beschäftigten ihre Rechte bekommen«. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz würde zudem die Arbeitnehmerrechte von der Gnade der Modemarken unabhängig machen, denn dann wäre es eine gesetzlich verbindliche Pflicht, Menschenrechte in Lieferketten einzuhalten.

(Quelle: JungeWelt)