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Kobani Im Fokus

Eine Woche nachdem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident in Ankara der Notwendigkeit guter Zusammenarbeit versichert hatten, droht Recep Tayyip Erdogan mit der Ausweisung des deutschen und neun weiterer Botschafter. Er habe dem Außenminister »den Befehl gegeben«, die Botschafter »so schnell wie möglich zu unerwünschten Personen zu erklären«, verkündete Erdogan am Sonnabend im zentralanatolischen Eskisehir. Den Zorn des Präsidenten hatte ein Appell der Botschafter Deutschlands, der USA, Frankreichs, Kanadas, Dänemarks, Finnlands, der Niederlande, Schwedens, Norwegens und Neuseelands erregt, in dem die Freilassung des seit vier Jahren ohne Urteil inhaftierten Osman Kavala gefordert wurde. Die Erdogan-hörige Justiz unterstellt dem 64jährigen Unternehmer, der als eine Art türkischer George Soros zahlreiche Initiativen im Bereich der Kultur und Menschenrechte finanzierte, die Unterstützung der regierungsfeindlichen Gezi-Proteste im Jahr 2013 sowie Spionage im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der 2019 Kavalas Freilassung forderte, hatte die türkische Regierung in den Wind geschlagen.

»Steht es euch zu, der Türkei so eine Lektion zu erteilen? Wer seid ihr schon?«, tönte Erdogan in seiner Rede in Eskisehir gegenüber den westlichen Regierungen. Diese vorerst nur verbale Eskalation folgt einem hinlänglich bekannten Schema: Steckt Erdogan innenpolitisch in der Klemme, dann sucht er in der außenpolitischen Zuspitzung sein Heil. So soll die angesichts der sich weiter vertiefenden wirtschaftlichen Krise laut Umfragen schwindende Anhängerschaft der islamistisch-faschistischen Regierungsallianz fester zusammengeschlossen werden. Zudem setzt Erdogan auf nationalistische Reflexe beim Großteil der Opposition, die außenpolitisch stets Gewehr bei Fuße steht.

Offen droht Erdogan mit einem weiteren Krieg gegen die nordsyrische Selbstverwaltungsregion Rojava. Im Fokus steht unter anderem die Stadt Kobani, die seit ihrer Verteidigung gegen die Dschihadistenmiliz IS im Winter 2014/15 für die Kurden hohen Symbolwert besitzt. Erst am Wochenende starben dort drei Kämpfer der kurdisch geführten Rojava-Verteidigungskräfte SDK bei einem türkischen Drohnenangriff. In der Region um Kobani ist Russland Garantiemacht für einen nach dem letzten türkischen Einmarsch in Nordsyrien im Herbst 2019 geschlossenen Waffenstillstand.

Erdogans Drohgebärden gegenüber westlichen Regierungen – darunter Washington als Unterstützer der SDK – erscheinen so als anbiederndes Signal an den Kreml, um grünes Licht für eine weitere Besatzungsoperation zu erhalten. Doch zugleich spekuliert Erdogan auf die Bereitschaft seiner NATO-Partner, zur Besänftigung ihres geopolitisch unverzichtbaren türkischen Verbündeten, den es an der Seite des Westens zu halten gilt, beide Augen beim nächsten Angriffskrieg gegen Syrien zuzudrücken.

(Quelle: Junge Welt)